Unsere Einschätzung

Unsere Einschätzung: Viele Tarife sind mit unterschiedlichen Versicherungssummen zwei- bis viermal aufgeführt. Das erklärt mutmaßlich die unterschiedlichen Teilnoten für "Grundschutz und Versicherungssumme". Der HanseMerkur Premium beispielsweise wird mit Versicherungssummen von 50, 30, 15, und 10 Millionen Euro aufgeführt. Alle anderen Leistungsmerkmale sind identisch, auch die Deckungserweiterungen. Trotzdem werden diese höchst unterschiedlich benotet und bewertet: mit "+(2,0)", "+ (2,1)", "+ (2,4)" und "O (befriedigend) (2,7)". Eine Erklärung dafür haben wir in der Zeitschrift oder auf test.de nicht gefunden. Insgesamt werfen 74 Tarife, die wir im Reiter Deckungserweiterungen dokumentiert haben, in dieser Hinsicht Fragen auf. Nach der Zählung von Finanztest sind es sogar 189, weil die Zeitschrift einen Tarif mit vier Versicherungssummen als vier Tarife zählt. Wir gehen davon aus, dass bei jedem der 74 Tarife für je eine Versicherungssumme die Bewertung und die Benotung stimmen. Daher bleiben mindestens 110 nach unserer Einschätzung falsch bewertete Tarife.

Fehlerhaft?: Weil außer der Versicherungssumme alle anderen Leistungsmerkmale identisch sind, können wir die unterschiedlichen Bewertungen und Benotungen der Deckungserweiterungen nicht nachvollziehen (die Symbole bedeuten: + = gut, O = befriedigend, q = ausreichend).

Von den betroffenen Versicherern wollten wir wissen, ob sie eine Erklärung von Finanztest bekommen haben. Die HanseMerkur antwortete: "Wie Finanztest im Detail bewertet und wie sich die Noten genau errechnen, wissen wir nicht. Bitte wenden Sie sich hierfür an die Stiftung Warentest/Finanztest." Die Barmenia schreibt: "Der (von Testwatch) geschilderte Sachverhalt entspricht den Tatsachen und ist auf den ersten Blick für uns auch nicht nachvollziehbar. Die Tarifvarianten unterscheiden sich lediglich in ihren Deckungssummen voneinander. Ansonsten sind die Leistungsbausteine identisch. Licht ins Dunkel bringen kann vermutlich nur die Stiftung Warentest selbst." Doch die weigerte sich, erst auf wiederholte Nachfrage bekamen wir eine Antwort, aber keine nachvollziehbare Erklärung. "Hinter den grafischen Symbolen für die Deckungserweiterungen verbergen sich unterschiedliche, ungerundete und gewichtete Bewertungszahlen. Ein einfaches Aufaddieren der Symbole zur Bestimmung des Gruppenurteils ist deshalb nicht möglich", schreibt Finanztest.

Einen Beleg und eine Erklärung für ein solches Vorgehen haben wir nicht gefunden. Auch nicht im Dokument "So testet und bewertet die Stiftung Warentest" (der Link findet sich am Ende der Seite). Dort wird erklärt: "Die Stiftung Warentest unterscheidet dabei zwischen Qualitätsurteil, Gruppenurteilen und Einzelurteilen, die in einer Testtabelle zusammengefasst werden. In ihr finden sich Einzelurteile, die als Symbole ++, +, O, Q,-- ausgewiesen werden (Anmerkung Testwatch: Die Symbole stehen für sehr gut bis mangelhaft). Das Gruppenurteil besteht aus einer Note, ergänzt um eine Dezimalzahl (z. B. "gut (2,3)". Die Gesamtnote ist das test- oder Finanztest-Qualitätsurteil (z. B. "GUT (1,7)". Auch wenn in der Tabelle bei den Einzelurteilen nur ganze Notenstufen und bei den Gruppen- und Qualitätsurteilen nur Zehntelnotenstufen gezeigt werden, wird im Hintergrund stufenlos gerechnet. So kommt es manchmal zu der Situation, dass ein Produkt auf den ersten Blick bessere Einzelurteile hat als ein anderes, das Gruppenurteil aber schlechter ausfällt. Keine Sorge, die Stiftung verrechnet sich an dieser Stelle nicht. Keine Rede ist dort und auch im Test selbst davon, dass und warum sich hinter den grafischen Symbolen für die Deckungserweiterungen "unterschiedliche, ungerundete und gewichtete Bewertungszahlen verbergen", wie die Stiftung Warentest plötzlich auch Versicherern gegenüber behauptet. Die wurden zudem nicht mit sehr gut bis mangelhaft bewertet , sondern mit für "ja" (Leistung wird erbracht), "nein" (Leistung wird nicht erbracht) oder "eingeschränkt". Wir haben daher die Stiftung Warentest gebeten, uns anhand eines Tarifs konkret vorzurechnen, wie die unterschiedlichen Noten zustande kommen und schrieben am 26.1.2022: "Wenn Sie das nicht können oder wollen, muss ich nicht davon ausgehen, dass Sie richtig gerechnet haben, sondern dass Sie über 100 Tarife falsch bewertet haben". Seither herrscht Funkstille.

Der Bundesgerichtshof räumt Testanbietern wie der Stiftung Warentest einen "breiten Ermessensspielraum" ein. Tests sind danach zulässig, wenn die Testmethoden und Bewertungen zumindest "diskutabel" sind. Im Gegenzug müssen die Testergebnisse transparent und nachvollziehbar sein. Das legen auch die unter Federführung des Bundesverbraucherministeriums 2014 von der Stiftung Warentest, dem ADAC, von Öko-Test und der Computerzeitschrift c’t erarbeiteten und unterschriebenen Regeln der guten fachlichen Praxis des Testens fest. Gegen diese aber verstößt der Test, konkret gegen Regel "XII: Die Testkriterien, die Testmethoden, das Testverfahren und das Testurteil müssen transparent und für unbeteiligte Dritte nachvollziehbar sein."

Nicht nachvollziehbar ist auch die Tabelle mit den zwölf günstigsten "sehr guten" Tarifen im Heft. Das Problem: Man erfährt nicht, warum sie mit "sehr gut" bewertet wurden. Denn es werden neben dem Tarifnamen und dem Versicherer lediglich die Versicherungssumme, der Jahresbeitrag und das Gesamturteil aufgeführt. Nur für zwei der zwölf Tarife gibt es detailliertere Angaben in einer weiteren Tabelle mit den 48 von Finanztest am besten bewerteten Tarifen.

Sehr gut? Detailliertere Aussagen zu den Leistungen für zehn dieser zwölf Tarife liefert Finanztest im Heft 10/2021 nicht.

Dort erfährt man, dass der Grundschutz der 48 Tarife "sehr gut" sei mit Noten zwischen 0,5 und 0,9. Worin die unterschiedlichen Noten begründet sind, bleibt unklar. Aber nicht nur das: Mit der Note "sehr gut (0,6)" werden die Deckungserweiterungen des Tarifs Haftpflichtschutz der DFV bewertet, obwohl er den Angaben in der Tabelle zufolge weniger leistet als der mit "sehr gut (0,7)" bewertete Privat Premium 6.0 der NV. Der wiederum sichert weniger ab als das Haftpflicht Online Leistungspaket L + vier weitere Bausteine der Axa, das für die Deckungserweiterungen trotzdem nur die Note "sehr gut (1,0)" bekommt (im Reiter Testergebnisse haben wir beispielhaft weitere Ungereimtheiten dokumentiert und kommentiert).

Anlass für unsere Beschäftigung mit dem Test war, dass die HUK-Coburg sich weigerte, den Schaden einer Frau zu begleichen, den sie durch ein vierjähriges Kind erlitten hatte, dessen Vater bei der HUK versichert war. Denn wenn Kinder jünger als sieben Jahre sind (im Straßenverkehr beträgt die Altersgrenze sogar zehn Jahre), gelten sie als "deliktunfähig" und können nicht haftbar gemacht werden. Weder die Eltern noch die Versicherungen müssen für von ihnen angerichtete Schäden zahlen. Das gilt auch für andere deliktunfähige Personen, zum Beispiel Demente oder psychisch Kranke. Weil das in der Vergangenheit oft zu bösem Blut unter Nachbarn oder Freunden (dann ehemaligen Freunden) führte, zahlen viele Versicherer auch für solche Schäden und haben sie als so genannte Deckungserweiterung in ihre Versicherungsbedingungen aufgenommen.

Wir wollten daher von der Stiftung Warentest wissen, wie sie die Leistungen der zwölf günstigsten "sehr guten" Tarife für deliktunfähige Personen bewertet. Denn wir sind davon ausgegangen, dass sich viele Leser auf ihr Urteil verlassen und unbesehen solche Versicherungen abschließen. Drei der zwölf Tarife stammen von der HUK-Coburg bzw. der HUK24. Ihre Leistungen seien "eingeschränkt", weil sie nur für Kinder und Demente zahle (Anmerkung Testwatch: also nicht für psychisch Kranke), erklärte Finanztest auf unsere Nachfrage. Die viel wichtigere Einschränkung hat Finanztest scheinbar übersehen. Denn die HUK-Coburg/HUK24 zahlen nur, wenn Geschädigte ein "berechtigtes Interesse" an der Schadensregulierung haben, zum Beispiel, damit der Nachbarschaftsfrieden gewahrt bleibt. Das heißt: Finanztest hat für diesen Test über 7.000 Leistungsmerkmale erhoben und bewertet. Bei drei von zwölf, also bei 25 Prozent, nach denen wir konkret gefragt haben, wurde etwas übersehen. Wir überlassen es Ihnen, einzuschätzen, wie wahrscheinlich es ist, dass es die Einzigen sind.

Mit der Begründung, es bestehe kein berechtigtes Interesse, hatte sich die HUK-Coburg geweigert, den Schaden der eingangs erwähnten Frau zu regulieren. Denn sie war von einem deliktunfähigen Kind, das nicht aus der Nachbarschaft stammte, mit einem Fahrrad umgefahren worden, erlitt einen Oberschenkelhalsbruch und bekam ein künstliches Hüftgelenk. Lediglich aus Kulanz zahlte die HUK-Coburg letztendlich 4.000 Euro.

Sechs der zwölf Tarife zahlen laut Finanztest ohne solche Einschränkungen, sondern schon, wenn Versicherte das wünschen. Und doch sind die Leistungen von dreien stark eingeschränkt, ohne dass die Leser das erkennen können. Denn sie zahlen nicht bis zur Versicherungssumme, sondern deckeln die Entschädigung auf 20.000 bis 100.000 Euro. Gerade bei Verkehrsunfällen mit möglicherweise lebenslangen Beeinträchtigungen ist diese Schadenshöhe schnell überschritten.

Als Grundschutz, ohne den kein Tarif "sehr gut" oder "gut" sein kann, hat Finanztest festgelegt, dass zum Beispiel das Hüten fremder Hunde und Pferde oder Mietsachschäden versichert sein müssen. Im Sinne des "breiten Ermessensspielraums" ist das nicht zu beanstanden, auch wenn der Autor dieses Berichts sicherlich nie fremde Hunde und Pferde hüten wird und als Hausbesitzer nicht gegen Mietsachschäden abgesichert sein muss. Für ihn könnten also auch "befriedigende" oder sogar "mangelhafte" Tarife in Frage kommen. Informationen über die bekommt man nicht in der 6,50 Euro teuren Zeitschrift, sondern nur, wenn man für weitere vier Euro die Testergebnisse auf test.de freischaltet.

Beim Haftpflichtschutz der DFV und anderen Tarifen stellte sich außerdem die Frage, ob das Finanztest Qualitätsurteil stimmt? Denn rechnerisch beträgt es 0,533. Nach gängigen Rundungsregeln ergibt das 0,5 und nicht 0,6, wie die Zeitschrift schreibt. Auf unsere diesbezügliche Nachfrage bekamen wir von Finanztest bis zur Veröffentlichung unseres Berichts keine Antwort. Erst knapp eine Woche und nach nochmaliger Nachfrage erklärte die Stiftung Warentest mit Verweis auf das Dokument "So testet und bewertet die Stiftung Warentest" (der Link dazu findet sich unten auf der Seite), dass man die Teilnoten zwar runde, die Qualitätsurteile aber aus den ungerundeten, nicht veröffentlichten Rohdaten berechne. Nachvollziehbar sind sie daher weder für uns noch für die Versicherer. So schreibt uns die VGH: "Die Frage, ob in unserem Tarif PHV-Komfort die Gesamtnote von 3,1 auf 3,0 abgerundet werden müsste, hat sich uns nicht gestellt, da uns auch nicht bekannt ist, ob und wie schon in den Teilwertungen (Grundschutz/Deckungserweiterungen) gerundet wird." Im gleichen Sinne äußert sich die Alte Leipziger. Sie schreibt: "Wir prüfen nach der Veröffentlichung der Ergebnisse die Bepunktungen und achten auf die Plausibilität, vollziehen die Bewertung aber nicht en Detail nach, auch wegen fehlender Einblicke in die interne Gewichtung von Finanztest." Auch die Itzehoer konnte, wie alle Versicherer, die uns geantwortet haben, kein Licht ins Dunkel bringen. Sie schreibt: "Wir sind weder über Nachkommastellen noch über deren Rundungsverfahren informiert."

Die Stiftung Warentest meint, dass sie trotzdem nicht gegen die Regeln der guten fachlichen Praxis des Testens verstoße. Sie schreibt uns: "Transparenz und Nachvollziehbarkeit stellen wir durch die Informationen her, die wir generell zu unserer Arbeit und zu jedem einzelnen Testverfahren zur Verfügung stellen. Eine Nachrechenbarkeit von Testauswertungen aufgrund der veröffentlichten Ergebnisse ist damit nicht gemeint, es wäre auch ein unrealistischer Anspruch." Abgesehen davon, dass die Regeln keine solche Ausnahme vom Gebot der Transparenz vorsehen: Andere Testanbieter erfüllen diesen vorgeblich unrealistischen Anspruch.

Fazit: Dieser Test wäre für Verbraucher allein schon unbrauchbar, weil die Testergebnisse nicht nachvollziehbar sind. Außerdem fragt man sich, warum sich die Versicherer so etwas gefallen lassen und nicht juristisch gegen die Stiftung Warentest vorgehen?