Das Umweltbundesamt hält die umstrittene Technologie für nicht erforderlich für das Erreichen der Klimaneutralität. Zudem ist CCS zu teuer und käme viel zu spät.

Nach Überzeugung von Wirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) wird das umstrittene CCS-Verfahren gebraucht, damit Deutschland seine Klimaziele erreichen kann. Die Abkürzung steht für Carbon Capture and Storage und bedeutet: Kohlendioxid, das bei der Verbrennung fossiler Energieträger (Kohle, Öl, Erdgas) entsteht, wird abgeschieden und tief unter dem Meeresspiegel eingelagert.

Noch im Mai 2021 hatte das Handelsblatt berichtet, Habeck halte CCS für „die falsche Strategie“. Nicht nur daher ist seine Kehrtwende bemerkenswert. Vor allem hat eine Studie des Umweltbundesamts (UBA) gezeigt, „dass CCS für die Erreichung der Treibhausgasneutralität in Deutschland nach derzeitigem Kenntnisstand nicht erforderlich ist“. Das UBA verweist auch auf die Gefahren und Risiken des Verfahrens. Problematisch sei darüber hinaus „der enorme zusätzliche Energieaufwand für die Abscheidung, den Transport und die Speicherung“. CCS erhöhe den Verbrauch der „fossilen Rohstoffe um bis zu 40 Prozent.“

Das Umweltbundesamt gehört zum Geschäftsbereich des Umweltministeriums, das von Steffi Lemke geführt wird. Die gehört, wie Habeck, zu den Grünen. Wir haben das Umweltministerium daher gefragt, ob Lemke der gleichen Meinung ist wie Habeck. Die Antwort des Pressesprechers: „Die Bundesregierung befindet sich zum Thema CO2-Speicherung derzeit in internen Beratungen. Zu Zwischenständen äußern wir uns üblicherweise nicht. Innerhalb der Bundesregierung federführend ist das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK). Daher würde ich Sie gerne an die Kolleginnen und Kollegen verweisen wollen.“ Übersetzt heißt das: Habeck hat uns mit seiner Kehrtwende in die Bredouille gebracht, daher soll er auch die Kritik von Umweltverbänden und anderen Fachleuten einstecken. Wir halten uns da raus.

Auch der Naturschutzbund Deutschland (Nabu) und der WWF befürworten inzwischen CCS unter bestimmten Bedingungen. Sie schreiben: „Es ist richtig, CCS und CCU nun prioritär dort einzusetzen, wo CO2-Emissionen nach aktuellem technischem Stand nicht vermieden werden können. Gleichzeitig müssen hohe ökologische und soziale Standards eingehalten werden (CCU steht für Carbon Capture and Utilization, also das Abscheiden und die anschließende Nutzung von Kohlendioxid).

Wir haben auch beim UBA nachgefragt, ob es immer noch der Meinung ist, dass CCS nicht notwendig ist. „Das UBA hat gezeigt" antwortet uns die Pressestelle, "dass diese unvermeidlichen Emissionen in Deutschland durch die massive Stärkung natürlicher Senken ausgeglichen werden könnten, z.B. durch die Renaturierung von Moorgebieten, den Schutz von Wäldern und die Entsiegelung von Flächen. Negative Emissionen, die Stärkung natürlicher Senken durch Investitionen zur Stabilisierung der Ökosysteme, Biodiversitäts- und Artenschutz könnten so Hand in Hand gehen.“ Solche Maßnahmen sind mit höchstens 100 Euro pro Tonne Kohlendioxid zudem wesentlich günstiger als CCS, das Schätzungen zufolge 200 bis 1.200 Euro die Tonne kostet.

Anders als der Nabu und der WWF warnt der BUND nicht nur aus Umweltgründen vor CCS. Er schreibt: „Für fossile Konzerne wäre der Einstieg in eine CCS-Wirtschaft sehr profitabel. Für Ökosysteme, Gesundheit und Klima würden durch CCS jedoch unkalkulierbare und generationsübergreifende Risiken entstehen. Folgekosten hätte die Gesellschaft als Ewigkeitslast zu tragen. Mit den CO2-Deponien entsteht eine Endlager-Infrastruktur, die über Jahrhunderte überwacht werden müsste. Die Industrie will die Verantwortung dafür nicht übernehmen. Die Folgekosten für die kontinuierliche Überwachung der Endlager und die Behebung möglicher Schäden gehen nach einer Frist an den Staat über, der die Lizenz dafür vergeben hat.“ Der Staat heißt: die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler.

Unbestritten ist, dass es noch lange Zeit nicht vermeidbare Emissionen des Treibhausgases geben wird. Die könnten nicht nur durch Senken wie die Wiedervernässung von Mooren in Deutschland, sondern auch durch Investitionen in Projekte in Schwellen- und Entwicklungsländern wie die Wiederaufforstung von Wäldern, den Bau von Solaranlagen, den Ersatz von Kohle durch Biomasse wie Kokosnussschalen oder effiziente Kochöfen „kompensiert“ werden. Weil sich in diesen Ländern mit jedem Euro viel mehr erreichen lässt als in den Industrieländern, kostet die Kompensation bei Organisationen wie Atmosfair, Klima Kollekte, Myclimate, Climate Partner oder Prima Klima nicht einmal 30 Euro pro Tonne Kohlendioxid.

Zudem helfen viele Kompensations- und Einsparungsprojekte auch den Menschen vor Ort. So tragen saubere Kochöfen, durch die der Holzverbrauch und damit die CO2-Emissionen fürs Kochen um 40 bis 80 Prozent sinken, zu 12 der 17 UN-Ziele für nachhaltige Entwicklung bei. Unter anderem zum Ziel „Gesundheit und Wohlergehen", weil sie Luftqualität in Wohnräumen verbessern und für einen erheblichen Rückgang von Atemwegserkrankungen sorgen. Der Ersatz von Kohle durch Biomasse in Ziegeleien sorgt unter anderem für „Menschenwürdige Arbeit". Waldschutz und die Aufforstung von Wäldern fördert neben anderen das Ziel „Keine Armut" durch Verbesserung der Lebensgrundlagen und Einkommensmöglichkeiten.

Nicht zuletzt käme CCS viel zu spät, denn es müssen erst einmal Lagerstätten gesucht und erschlossen werden. So schreibt das Wirtschaftsministerium: „Die absolut überwiegende Zahl der ausgewerteten Studien kommt zu dem Schluss, dass in Deutschland bereits ab 2030 relevante Mengen von CO2 abgeschieden und gespeichert (CCS) bzw. weitergenutzt (CCU) werden müssen, um die Klimaziele zu erreichen.“ Alternativen zu CCS sind hingegen sofort nutz- und skalierbar. Das heißt: Es fehlt nicht an Projekten, sondern an Geld.

Fazit: CCS ist nicht nötig zur Erreichung der Klimaziele, sondern sogar hinderlich. Das Verfahren belastet Verbraucherinnen und Verbraucher in Form höherer (Energie)Preise und bindet Gelder, die anders effizienter eingesetzt werden könnten.